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Homeplaying 0321   3Nur mal so ein Gedankenspiel: Was wäre, wenn sich nach und nach die riesigen Gebäude unseres Weltkulturerbes in Luft auflösten, um einige Augenblicke später, zwar in ihrer vollen Pracht, aber auf Miniaturgröße geschrumpft, an einem anderen Ort versammelt wieder auftauchen würden? Ein globales Riesenchaos wäre gewiss.

Zumal es in diesen weltberühmten Bauwerken meist von Menschen nur so wimmelt. Die wären folglich auf circa Erdnussflips Größe geschrumpft und somit kleine Gefangene in einer überdimensionierten und plötzlich gefährlichen Welt. Genau dieses fantastische Szenario und seine unerhört aufregenden Geschehnisse beschreibt ­­– auf geniale Weise Isabel Abedis Jugendbuch „Verbotene Welt“.

„Ich liebe dieses Buch. Es ist ideal, um Kinder zum Lesen zu bringen.“, schwärmt Bettina Schwarz. Als Deutsch- und Französischlehrerin am Traunreuter Johannes-Heidenhain-Gymnasium weiß sie derart fesselnde und fantasieanregende Literatur zu schätzen. Deshalb hatte sie zu Beginn der Corona-Zeit, noch vor dem ersten Lockdown, dieses Buch als Schullektüre für ihre 5a ausgewählt. Fast als hätte sie geahnt, dass sich aus diesem Stoff so manches kreatives Trostpflästerchen basteln lassen könnte. Aus ihrer langjährigen Leitung der Steiner Literatur- und Medientage kennt Schwarz die Autorin Isabel Abedi persönlich und hatte gehofft, mit ihren Schülern im Herbst 2020 eine Autorenlesung Abedis zu besuchen. Dass dieses Buch, indem „unvorstellbare Szenarien“ zur unfassbaren Wirklichkeit werden, einmal auf skurrile Weise den ein oder anderen Bezug zum „realen“ Leben finden würden, das hätte sich wohl vor Corona keiner vorstellen können.

Homeplaying 0321   2Die Schüler der Klasse 5a bekamen also die „Aufgabe“, zum Thema der Lektüre passend, ein Gesellschaftsspiel zu erfinden. Hintergedanken dabei waren zum einen die Niederschrift einer Vorgangsbeschreibung, das Entwerfen und Gestalten eines „Brettspiels“ und zum andern, das gemeinsame Spielen in den Familien anzuregen. Lesen, Gestalten, Spielen: Klingt gut, dachten sich die Schüler, die zum Homeschooling verdonnert und fast all ihrer Hobbys beraubt, mehr Zeit hatten, als ihnen lieb war. Nach und nach trudelten die ersten kreativen Ergebnisse bei der Lehrerin ein: Aus Homeschooling wurde Homeplaying. Die kunstvoll ausgestalteten und klug durchdachten „Spielergebnisse“ beeindruckten die Deutschlehrerin dermaßen, dass sie beschloss jene Autorin, die diese kreativen Früchte mit ihrem Buch in den Kindern hat wachsen lassen, daran teilhaben zu lassen.

Im Juni 2020 bekam die Klasse Post: Isabel Abedi bedankte sich herzlichst bei „den KünstlerInnen der Klasse 5a“. Selten käme es vor, dass eine Schriftstellerin sprachlos sei, schrieb sie und es sei ihr nicht leichtgefallen, ihre Begeisterung über die Fotos von den großartigen Spielideen in Worte zu fassen. Die Kinder hätten gezeigt, dass man auch zur Corona-Zeit in Geschichten und Spielen auf (Fantasie-) Reisen gehen kann, lobte Abedi in ihrer Email.

Homeplaying 0321   1Nun, inzwischen über ein halbes Jahr später, ist ein gemeinsames Treffen mit Spielen im Unterricht immer noch nicht möglich. Aber diese kunstvollen Spiele sollen nicht, wie die Monumente in Abedis Buch, „geschrumpft“ werden und irgendwo im Keller verschwinden. Deshalb beschloss die jetzige Klasse 6a, Corona zum Trotz, Fotografien und Spielanleitungen an die Heimatzeitung zu schicken und bei einem Online-Meeting über das Projekt zu berichten – frei nach dem zum Buch, aber auch zu unserer „Neuen Normalität“ passenden Motto: Besondere Umstände fordern kreative Anpassung an neue Gegebenheiten. Wenn Groß und Klein im so veränderten „Schulalltag“ des letzten Jahres eines gelernt hat, dann ist es Flexibilität. Fast die Hälfte der Schüler präsentierten am PC selbst kreierte Gesellschaftsspiele: Die Spiele bekamen witzige Namen, es wurden eifrig Spielfiguren oder Würfel aus unterschiedlichen Materialien gebastelt, Spielbretter wurden gefertigt, bunt bemalt und mit „Ereignisfeldern“ versehen.

Homeplaying 0321   4Mit oder ohne Joker, ein bisschen Mensch-ärgere-dich-nicht hier, ein bisschen Monopoly da und dort fühlte man sich an Trivial Pursuit erinnert. Aber doch hat jedes Spiel seinen individuellen Charakter – genial! So unterschiedlich die Spielziele sind, so variationsreich das „Zubehör“, wie etwa Karten, auf denen Fragen oder Hinweise stehen. Einer der Schüler ordnete Bauwerke entsprechend der Kontinenten an, die er in farbiger Gestaltung auf dem Spielbrett aufklebte, bei andern geht es (wie im Buch) über Tische und Brücken oder es wird eine „Extrarunde“ auf dem Riesenrad des Wiener Praters gedreht.

Die Freude mit den eigenen Spielkreationen war den Schülern bei der „Präsentation“ deutlich anzumerken. Und dieses unverbotene Corona-Vergnügen hat sich offenbar generationsübergreifend in den Familien ausgebreitet: Geteilte Freude ist doppelte Freude. Schade nur, dass es im richtigen Leben noch keinem gelang Corona in Luft aufzulösen und seine Folgen zu schrumpfen. Aber träumen darf man ja. 

K. Benekam

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