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Schüleraustausch Frankreich 0122   1Normalerweise würde ich, wenn mir vorgeschlagen wird, zwei Monate oder mehr in ein fremdes Land, zu einer fremden Familie, in eine fremde Schule zu gehen, „nein“ sagen. Vor allem, wenn es zugleich auch noch Frankreich ist. Nicht, dass ich etwas gegen Frankreich hätte, aber nach Latein war Französisch sehr nahe am Tiefpunkt der trockenen, mühsamen Sprachen, die man in der Schule lernt.

Aber nach ein paar guten Argumenten meiner Mutter machte ich mich trotzdem daran, auf dem Austausch-Portal Brigitte Sauzay nach einer Austauschpartnerin zu suchen. Nach ein paar Fehlgriffen landete ich endlich bei Axelle, mit der ich nach wenigen E-Mail-Konversationen Nummern austauschte. Doch schon nach wenigen Tagen des Schreibens eröffnete sie mir, dass sie sich auch beim Voltaire-Programm für einen 6-monatigen Austausch angemeldet hatte. Als dann auch diese Möglichkeit geplatzt war, Axelle in einem netten Vorort von Paris zu besuchen, war ich schon ein wenig traurig.

Ein paar Tage später schrieb sie mir aber überraschenderweise, dass ein Mädchen aus ihrer Klasse noch nach einer Austauschschülerin suchte, und ich beschloss, einen letzten Versuch zu wagen. Also fing ich an, mit ihrer Klassenkameradin Servane auf Instagram zu schreiben. Ich merkte sofort, dass wir uns gut verstehen würden (auch die sprachliche Barriere konnten wir schnell durch ihr gutes Englisch überwinden) und wir kamen sofort über unsere Vorlieben Zeichnen, Musik und Harry Potter ins Gespräch. Obwohl meine Mutter anfangs ein wenig misstrauisch war, kam sie nach nur einem Telefonat und zwei Monaten Kontakt per WhatsApp am 21.04.2021, nur einen Tag nach ihrem 16. Geburtstag, mit dem Flugzeug in München an. 

Auf der Heimfahrt redeten wir ununterbrochen, über alte Rock-Klassiker hinweg, wie nah an der Natur wir doch wohnten und warum ihr großer gelber Koffer wohl so lange nicht aufzufinden war. Nach einem Monat des Zusammenlebens hatten wir uns schon fast die ganze Harry-Potter-Reihe angeschaut und saßen jeden Nachmittag zusammen und hörten Radiohead, Måneskin oder - wer hätte es gedacht – Harry-Potter-Hörspiele auf Englisch. Durch das damals bestehende Homeschooling verbrachten wir viiiieeel Zeit zuhause und in der Natur. Genau eine Woche und drei Tage besuchte Servane letztendlich das Johannes-Heidenhain-Gymnasium mit mir. Nach 7 Wochen war es jedoch leider soweit, und sie flog wieder nach Hause.

Ich bin so dankbar für diese Wochen des Nicht-alleine-seins, für den Spaß und die kreativen Gemeinsamkeiten. 

Die drei Monate bis ich nach Paris kommen konnte, vergingen wie im Flug. Schon war es Ende September und ich musste mich von all meinen Freunden, meiner Familie und unserer Katze verabschieden. Das war teilweise eine ein wenig nasse Angelegenheit, doch als ich am 02.10. in den Zug am Traunsteiner Bahnhof stieg, war aller Abschiedsschmerz vergessen und ich bereitete mich auf meine 8 Stunden lange Reise nach Paris vor. Während der Fahrt vertrieb ich mir die Zeit damit, Brooklyn-99 anzuschauen, mich mit meinen Sitznachbarn zu unterhalten und zu lesen. 

Gegen 19 Uhr kam ich dann am Gare de l‘Est in Paris an und stand erstmals mit dem Koffer in der einen, meinem Geigenkasten in der anderen Hand und mit meinem Rucksack auf dem Rücken am Bahnsteig und war überfordert. Doch ich fand Servane, ihren Bruder und Vater wild winkend am Ende des Gleises. 

Wir stiegen in die Metro, ich immer noch ein wenig verloren, umgeben von so vielen Menschen und Sprachfetzen, Yann (der Bruder von Servane) neben mir her eilend und ständig redend, natürlich in dem Tempo und mit der Überstürztheit, die 9-jährige, aufgeregte Jungs nun mal haben, und Servane, die leise auf Englisch versuchte, mir zu helfen, mich zurechtzufinden.

Servanes Vater ließ uns nur vor dem Haus ihrer Großtante aussteigen. Nachdem wir vom Bahnhof mit dem Auto nach Enghien-les-Bains gefahren waren, verabschiedete er sich mit einem à bientôtIhre Eltern sind geschieden, und da ihre Mutter, bei der Servane die meiste Zeit wohnt, ein Haus gekauft und renoviert hatte, das aber noch nicht fertig war, durften wir in der Zwischenzeit in dem großen Haus am Lac d’Enghien von TaTa und TonTon, der Großtante und dem Großonkel von ihr, wohnen. Ich bekam viele „bisous“ und ein geräumiges Zimmer mit eigenem Bad. Dort verbrachte ich also die nächsten drei Wochen. Ich beschäftigte mich viel mit Kochen (die französische Auftau-cuisine sprach mir nicht so zu), Geigen, Malen, Spazierengehen in der Kleinstadt und mit Schule.

Die Schule war zugegebenermaßen relativ anstrengend. Ich hatte mehrere Tage die Woche bis 18:00 Uhr Unterricht und musste in allen Fächern die Hefteinträge und Tests mitschreiben. Das war ziemlich mühsam und ich weiß nicht, ob ich den Schulalltag so gut ausgehalten hätte, wenn es nicht Johanna gegeben hätte.

Johanna, die 17 Jahre alt ist und bei dem « Voltaire » Programm teilgenommen hat, saß in den meisten Fächern neben mir und wir konnten herrlich ausgelassen über Feminismus, Sexismus, Bücher und unsere Austauschschüler*innen quatschen. Sie war auch die Person, mit der ich zum ersten Mal richtig Paris erlebt habe. Natürlich war ich auch ohne sie schon in Paris, das war schließlich nur 20 Minuten mit dem Zug entfernt, doch mit meiner Gastfamilie hatte ich nur einige Ausflüge dorthin unternommen. 

Die ersten drei Wochen meines Aufenthaltes brauchte ich wirklich, um mich einzugewöhnen, doch als die zweiwöchigen Herbstferien begannen, war ich fast jeden Tag mit Johanna oder den anderen deutschen Austauschschüler*innen in Paris. 

Mit Servane hatte ich immer und immer weniger Kontakt, da sie mit Hausaufgaben und ihrem eigenen Leben beschäftigt war. Das hört sich trauriger an, als es war, aber ich war d’accord mit unserer Beziehung. Ich hatte eine tolle neue Freundin, mit der ich die Großstadt erforschen konnte, Brunchen gehen konnte, tolle Pink-Floyd-Poster kaufen oder Nachmittage lang durch Museen schlendern konnte. Heiße Schokolade, oder soll ich sagen chocolat chaud, wurde zu unserem Hauptnahrungsmittel und es wurden auch mehr als ein frisches Baguette aus der Bäckerei an der Seine gegessen.

Manche mögen sich jetzt fragen, warum ich in Frankreich nur mit deutschen Leuten Zeit verbracht habe, aber wenn ich ehrlich bin, ging es mir nicht nur um die Sprache. Es ging mir um die Erlebnisse und Erfahrungen. Und die habe ich gemacht. Ein junges Mädchen aus einem Dorf mit knapp 100 Einwohnern, in einer Millionenstadt wie Paris- Ich musste mit vielen fremden Menschen reden (auf Französisch), mit Karte zahlen und alleine mit der Metro fahren. Ich finde schon, dass ich die Sprache gelernt habe, aber vor allem habe ich Leben gelernt.

Damaris Schreckenbauer (10b)

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