
Nachdem 21 Schülerinnen und Schüler aus Thiaucourt in der Region Grand Est im Oktober letzten Jahres eine erlebnisreiche Woche bei Gastfamilien des JHG verbrachten, konnten nun ihre deutschen Partnerinnen und Partner – dank einer Förderung aus Mitteln des Deutsch-Französischen Jugendwerks und eines Zuschusses des Elternbeirates – mit dem Bus zum Wiedersehen in Frankreich aufbrechen.
Der erste Tag in Frankreich stand den Familien zur freien Verfügung. Der windige und noch recht kühle, aber sonnige Tag wurde für unterschiedliche Unternehmungen genutzt, darunter Ausflüge in die nähere Umgebung, der Besuch des Volksfestes von Nancy, Trampolinspringen oder Bowling.
Ein bewegender Einblick in ein trauriges Kapitel der deutsch-französischen Beziehungen stand den jungen Menschen am Montag bevor. Es ging nämlich nach Verdun, einem der blutigsten Schauplätze der Schlachten zwischen den Deutschen und Franzosen im ersten Weltkrieg und Sinnbild für die damals neue und äußerst brutale Kriegsmaschinerie.
Die erste Station waren der Soldatenfriedhof und das Gebeinhaus von Douaumont, ein Ort, an dem sich 1984 der französische Staatspräsident François Mitterand und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl als eine Geste der Versöhnung gegenseitig an die Hand nahmen. Durch die anschließende Besichtigung des engen, kalten Fort Vaux, konnten alle sich gut vorstellen, unter welch schrecklichen Bedingungen 1916 sieben Tage lang französische Soldaten der Besetzung durch deutsche Soldaten widerstanden. Nachdenklich und gleichzeitig dankbar dafür, dass es ihnen so gut geht und sich deutsche und französische Schülerinnen und Schüler unter so friedlichen Bedingungen begegnen dürfen, begab sich die Gruppe sodann auf den Weg zu ehemaligen Schützengräben deutscher Soldaten in Saint Baussant. Im Sinne der Auseinandersetzung mit der deutsch-französischen Geschichte und des Wunsches nach Frieden wurde hier vor fast 20 Jahren ein außergewöhnliches Projekt ins Leben gerufen: jedes Jahr im Sommer restaurieren und pflegen französische Jugendliche die Schützengräben und erklärende Schautafeln, um den Ort für Besucher zugänglich zu machen. Einige Jahre lang machte Herr Valentin Haase vom Traunreuter Stadtarchiv die Teilnahme von Schülerinnen und Schülern des JHG an dieser Maßnahme möglich und machte sie zu einem symbolträchtigen deutsch-französischen Projekt. Ihren Abschluss fand die intensive Reise in die Vergangenheit im Besuch eines deutschen Soldatenfriedhofs, der in unmittelbarer Nähe der Partnerschule liegt. Nachdem eine unserer Schülerinnen mit ihrer französischen Austauschpartnerin eine Kerze an den Gräbern von zwei Soldaten angezündet hatte, wurde den jungen Leuten in der darauffolgenden Gedenkminute sicherlich klar, welche Rolle sie in der Geschichte spielen: Frieden und Freundschaft sind nicht selbstverständlich, sondern jeder muss sich immer wieder neu dafür einsetzen und daran arbeiten. Indem man sich zum Beispiel auf das Abenteuer Schüleraustausch einlässt.
Am nächsten Tag erfuhr die gesamte Gruppe in der Boîte à Madeleines in Commercy, wie das traditionelle französische Kleingebäck, die Madeleines, durch eine Art Notlage in der Küche von Herzog Stanislas Leszczynski entstanden ist. Eine Kostprobe der Spezialität rundete den Vormittag ab. Auf den Spuren des Herzogs ging es weiter nach Nancy, in die Stadt, der der ehemalige polnische König seinen Stempel aufdrückte. Mitten auf dem nach ihm benannten prachtvollen Place Stanislas konnte die Schülergruppe nachvollziehen, dass dies für viele der schönste Platz Frankreichs ist. Auf einer informativen und lustigen Fotorallye entdeckten die jungen Leute den historischen Stadtkern in Kleingruppen, aber es blieb auch noch Zeit, in der Neustadt zu bummeln.
Am Mittwoch besuchte der Großteil unserer Schülerinnen und Schüler das erste Mal den Unterricht an einem französischen Collège, einer vierjährigen Gesamtschule. Auch eine gemeinsame Sportstunde, in der in gemischten Teams ein Volleyballturnier ausgetragen wurde, war Teil des Vormittags. Da Mittwochnachmittags kein Unterricht stattfindet, konnte der Rest des Tages frei gestaltet werden.
Am Donnerstag stand der Besuch der Stadt Metz auf dem Programm. Mit Kopfhörern ausgestattet rollte die Gruppe an diesem warmen und sonnigen Tag zuerst im kleinen Touristenzug, dem petit train, gemütlich durch die verschiedenen Stadtviertel und erfuhr viel Wissenswertes über die größte Stadt Lothringens, deren Geschichte von der Antike bis in die Gegenwart reicht. Danach machten die Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler auf dem kleinen Spaziergang zum nächsten Programmpunkt mit weiteren ausgewählten Sehenswürdigkeiten bekannt, u.a. der Porte des Allemands, einer Toranlage der Stadtmauer aus dem Mittelalter und der Kathedrale Saint-Etienne, einem der schönsten und größten gotischen Kirchengebäude in Frankreich mit einer überwältigenden Fensterfläche von 6500m². Am Centre Pompidou, einem Kunstzentrum für moderne und zeitgenössische Kunst angekommen, wurden zwei Ausstellungen besucht: Après la fin ermöglichte einen Einblick in Weltanschauungen der Karibik und Nordafrikas; in Cerith Wyn Evans‘ Inszenierung von Klang- und Lichtwerken spazierten alle neugierig durch verschiedene Skulpturen aus Glas. Zum Abschluss des Tages durften die Jugendlichen in Gruppen noch Zeit im modernen Einkaufszentrum Muse verbringen.
Am letzten vollen Tag hatten die Schülerinnen und Schüler des JHG die Gelegenheit, einen ganzen Schultag erleben zu können. Unterschiede, von denen sie die meisten aus dem Lehrbuch bereits kannten, waren als eigene Erfahrung doch noch eindrücklicher: so dauert eine Schulstunde 55 Minuten. Die französischen Schülerinnen und Schüler wechseln für jedes Fach den Raum, die Aufsicht in den Pausen wird nicht von den Lehrkräften, sondern von surveillants durchgeführt, außer am Mittwoch dauert der Unterricht bis 16.30 Uhr. Vor allem am Freitag war das doch recht anstrengend. Aber für den Abend konnten noch alle die letzten Kraftreserven mobilisieren. Es wartete nämlich als Abschluss einer wunderschönen Woche, die voller neuer Erfahrungen und Eindrücke war, noch die gemeinsame Abschiedsfeier mit Tanz und leckeren Spezialitäten der Region, bevor die 21 Schülerinnen und Schüler und ihre zwei Lehrerinnen, Frau Falter und Frau Spichtinger, denen diese Gruppe als besonders fröhlich und aufgeschlossen in Erinnerung bleiben wird, sich am nächsten Tag auf den Rückweg nach Traunreut machten.
StDin Christina Falter